Hier schreibt heute Max, der den wohl schwersten Job geerbt hat, den das Feuilleton überhaupt kennt: die würdevolle Vertretung des großen Wortakrobaten Uli Twelker, welcher heute und morgen in London weilt, um mal wieder einige lebende Legenden der britischen Musikszene von einem künftigen Engagement am Dreiecksplatz zu überzeugen. Also erzähle ich Euch, allen daheimgebliebenen oder urlaubenden Mitgliedern (gibt’s die?) – und meinem Freund Uli natürlich – was ihr am vorletzten Abend der „Woche“ so alles verpasst habt. (Anmerkung: Allerdings ohne jegliche Georgie-Fame-Querverweise, mangels Sachkenntnis.)
Der Donnerstagabend verriet bereits beim Studium des Programms, dass die „Trüffelsucher“ aus dem Programmteam ausnahmsweise mal nur an der Oberfläche des Waldbodens schaben mussten: mit Ingo Pohlmann und Thorbjørn Risager sollten zwei Acts das Programm gestalten, die in Ostwestfalen hinlänglich bekannt sind. Pohlmann als Wiedenbrücker Jung und Risager als Stammgast in Bielefeld und Paderborn, dazu beide zu den Bekanntesten ihres jeweiligen Genres überhaupt zählend, sollten weniger in die Kategorie „Entdeckung“ denn in „Geschenk an die zahlreichen Fans“ fallen. Eine gute Idee, wie sich herausstellte. Der Platz war, bei - wieder einmal - Kaiserwetter, bis über die Katheten mit erwartungsfrohen Menschen gefüllt, darunter diesmal besonders viele Touristen aus der Nachbarstadt, die ihren „verlorenen“ mittlerweile Wahl-Hamburger Sohn wiedersehen wollten.
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Und so kam es wie es immer kommt: der allabendliche, freundliche Spießrutenlauf durch die Leute, die die in ihren Augen einmalige Gelegenheit zum Smalltalk nutzen wollen, verhinderte mein pünktliches Eintreffen an der Bühne, so dass ich die in Hans-Hermann Strandts Anmoderation erwähnte neue Ehrenmitgliedschaft des Hochs Oscar mal wieder nur vom Kollegen Gans aus der NW erfuhr. Aber ich war pünktlich zu Pohlmanns erstem Ton von „Im Wald nebenan“ vor Ort und staunte erstmal nicht schlecht: Da spielte sich doch eine richtige Mehrgenerationen-Familienfeier vor der Bühne ab.
Als ich Pohlmann erstmals so richtig wahrnahm, muss das um die Zeit gewesen sein, wo Henning Wehland ihn gerade „entdeckt“ hatte und zum neuen Stern am Deutsch-Pop-Himmel machte. Da waren wir alle sehr jung (also meine Generation zumindest) und das Publikum meist noch jünger. Zur Zeit von „Mädchen und Rabauken“ – die älteren von uns erinnern sich noch an den Bundesvision Songcontest – war Pohlmann ja so eine Art Teeny-Schwarm. Mittlerweile kommen nun offenbar dieselben Leute noch ins Konzert, beeindrucken durch ihre Textsicherheit gleichsam bei alten Hits wie „Wenn jetzt Sommer wär“ oder ganz neuen Werken wie „Schulweg“ oder „Glashaus“, und haben dabei aber bereits ihre eigenen, mittlerweile jugendlichen Kinder, im Schlepptau. Wenn man dann noch bedenkt, dass Pohlmann sich immer mehr zu einer wohltuenden Ausnahme im sonst so nichtssagenden Deutschpop generiert, mit starken, intelligenten Texten, toller Vokaltechnik und wunderbaren Begleitmusikern wie dem hervorragenden Hagen Kuhr am Cello, der mit Leichtigkeit und Geschmack zwischen Basslinien, Melodie und Klangteppichen switcht, wird überdeutlich: man hätte kaum einen passenderen musikalischen Gast einladen können, um die familiäre Dreiecksplatz-Atmosphäre zu manifestieren. Es war ein wunderschöner Auftakt in den Abend.
Die Umbaupause auf der Bühne wurde sodann gleich vom Publikum genutzt um eine neue Konstellation herzustellen. Für die Show von Thorbjørn Risager wichen die Kinder, Jugendlichen und Gen-Y-Vertreter den nun massiv nach vorne drängenden Bluesfreunden. Jetzt war quasi Erwachsenen-Programm an der Reihe. Die Armee aus Worker-Westen und Sicherheitssandalen (die Insignien des deutschen Bluesfans) machte sich bereit zur Rückeroberung des Terrains.
Und obwohl man ja theoretisch wusste was kommen wird – immerhin zählt die Band sicherlich zu den zwei, drei absoluten Europäischen Blues-Top-Acts der letzten Dekade – ließ der „Black Tornado“, wie er im Bandnamen verbrieft ist, doch einige Zeit auf sich warten. Die ersten Stücke kamen noch so aalglatt und perfekt daher, dass man sich trotz aller Bewunderung für die handwerkliche Qualität der Darbietung wünschte, die emotional-musikalische Handbremse würde endlich bald gelöst. Spätestens mit dem sich neu im Repertoire befindlichen „Watch the Sun Go Down“, welches in Melodie, Harmonik und Groove exakt wie eine gezähmte Sonntags-Replik auf Kingfish Ingrams „662“ wirkte, stellte man sich so langsam die Frage, ob denn der Tornado wohl überhaupt noch losfegen würde.
Tat er. Vielleicht nicht unbedingt als Tornado, sondern eher als langsam fortschreitender, wuchtiger Hurrikan, der alles mitnimmt was sich ihm in den Weg stellt. Ja, Risager strafte jeden aufkommenden Zweifel and der Wucht seines Programms. Hier zeigt sich, worin sein Ruf als internationale Top-Band begründet ist: das Gefühl für die Dramaturgie und den Spannungsbogen einer Show. Kein Pulver zu früh verschießen.
Mit dem jüngst auf einem Duo-Album mit Pianist Emily Balsgaard veröffentlichten „Insomniac Boogie“ (hier mit treibenden Drums und gehonktem Sax im 50s Style) gelang der Einstieg in die deutlich rauere, emotionalere, energiegeladenere zweite Konzerthälfte, die den immer wieder neu interpretierten, dreckigen alten Mississippi-Blues durch alle Facetten des Funk, Soul und Rock trieb. Von Gitarren-Eskapaden, Sound-Experimenten, belebenden Percussion-Elementen, Dynamikwechseln und permanenten Aufbrüchen der Songstrukturen, stets gekontert von extrem pointierten Bläser-Riffs, war nun alles dabei, womit sich die Band in ihrer ganzen Klasse zeigen konnte. Höhepunkt zum Abschluß war ein brutal shufflendes „All I Want“, ein alter Risager-Klassiker, der einmal mehr den unsäglichen Bierzeltgarnituren-Wald in Frage stellte. An Sitzen war bei dieser Blues-Party nicht mehr zu denken.
Als dann während einer ins Finale eingeschobenen Hendrix-Version von Beethovens „Ode an die Freude“ endlich die erste dicke Gras-Wolke über die vorderen Reihen schwebte, war klar: wir sind auf einem richtigen Festival angekommen. Die Zugabe, Big Joe Williams‘ ikonisches „Baby Please Don’t Go“, hier gespielt als unerbittlich schiebender Boogaloo, hätte treffender nicht gewählt werden können. Niemand ist freiwillig nach Hause gegangen.
Den Abschluss der „Woche“ bilden dann morgen FatCat und Jazzrausch. Ich werde Euch dann noch einmal als „Ersatz-Uli“ vom Abend berichten. Aber eines vorweg: alle reden ja seit Tagen nur von Jazzrausch zum Abschluss, und keiner von FatCat. Das ist grob fahrlässig. Wer die Band schon einmal gehört und gesehen hat weiß: die haben Highlight-Potenzial. Vertraut mir! Bis morgen!
Max Oestersötebier für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz