Die Hamburg-Pacific-Line – Melancholie & Jungle
Die Ikone der Tribal Chants, Morgane Ji aus der Pazifikinsel La Réunion, lobt die Frauen-Präsenz des zweiten Festival-Tages – beide Dienstags-Acts wurden in der Tat von starken Ladies geprägt, als Bandleader, Sängerinnen und Komponistinnen mit Präsenz, Charisma und ganz eigener Stilistik. Ein Publikum voll Feierlaune, aber auch musikalischer Neugier, dankte es euphorisch und stellte sich gegen einen Trend: Doch, es wurden massig Tonträger gekauft!
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Lùisa – Romantisch-beherzter Gitarren-Pop im harmonisch agierenden Trio-Format
Die junge Wahlhanseatin steigt mit sicherer Hand in eine Gitarrenfigur ihrer Sixties-Retro-Silvertone-E-Gitarre ein – hochmelodisch und so sonnig wie das Wetter auf dem Dreiecks-Platz. Sie ist „By Your Side“ – softes Latin-Intro geht in packenden Groove über. Schnell wird klar: Lùisas angenehme, tiefwarme Stimme kann Verletzlichkeit ausdrücken, ohne lamentierend in Weltschmerz zu verfallen.
Dabei kann es die junge Melancholikerin durchaus dunkel: „Deep Sea State Of Mind“ handelt vom Abtauchen: vor unheimlichen Tom-Schlägen ihres Drummers Lasse Weinbrandt: „never be seen again“, aber auch „never be hurt again“. Klar fällt es schwer, im fröhlichen Treiben des 3-Ecks-Mega-Picknicks auf englische Texte zu hören. Aber die Interpretin bietet griffige Sprachbilder an, die Fantasien im Kopf hervorrufen, statt Dylan-esk lange Stories auszubreiten. Wer abtaucht, muss auch wieder auftauchen: in „Come Around“ – findet Lùisa Metaphern wie heimkehrende Zugvögel. Frecher dagegen „Rocking On With A Lover“ – von den Freuden, einen Kerl heimzubringen.
Begrenzung auf’s Trioformat wird zur Tugend: Lasse fügt seinen Grooves mit typisch tief gestimmter Snare („Sie heißt ‚Heinz‘, weil sich das Wort Snare rückwärts gespielt so anhört“) öfter abwechslungsreiche Loops hinzu, während Bassist Max Quentmeier neben dynamisch gegriffenem Tieftöner auch mal Streichersounds antriggert. Lùisa selbst verwendet gekonnt wiederkehrende Gitarrenfiguren, deren Klangbilder uns in wohlige Trance versetzen. Dazu passend geht es in „Vision“ darum, bei Reizüberflutung die Augen zu schließen.
Beim Titelsong ihres aktuellen Albums, „New Woman“, singt die Hamburgerin, die aus „Nordhessisch-Sibirien“ (Frankenberg an der Eder) stammt von „breaking the cage, making mistakes“ sowie, klar, „taking the stage“, und fordert zu fettem Groove alle Frauen auf, „sich zu „empowern“ und auf die Bühne zu steigen, absolut im Einvernehmen mit Morgane Ji. Wobei es auch immer wieder um „time to swing your Hüfte“ geht – und es ist diese einfallsreiche, kecke Lebendigkeit, die uns für Lúisa einnimmt.
Morgane Ji – harte Beats, Saitenkunst und Vokal-Orakel mit melodischen Messages
Welche Musik empfindet eine junge Frau, die von einer tropischen Vulkaninsel östlich von Madagaskar stammt – so klein wie das Saarland und mit ebenso vielen Einwohnern? Deren Kultur sich aus dem Kontinentaldreieck Afrika-Indien-Asien speist? Deren subtropische Heimat aber trotz 9000 km Entfernung zur EU gehört. Antwort: mit allen Technologien & Trends schlafwanderlisch vertraut, dennoch im mystischen Zauber 700 km östlich von Madagaskar so souverän wie glücklich in Traditionen agierend: Mit ihren zwei Mikros singt Morgane Ji zauberhaft – englisch und französisch – verfremdet Vokaleinsätze aber parallel. Spielt ihr E-Banjo mal gekonnt pickend, mal verzerrt wie eine Grunge-Rhythmusaxt – stets im Einklang mit ihrer großartigen Band, die den Platz gleich in „Radio On“ mit karibischem Temperament angreift:
Drummer Mogan Cornebert legt nicht nur originelle, präzise Beats, sondern triggert auch perkussive Breitseiten – blitzschnell stimmt er nach Snare-Schaden Lùisa-Lasses kleine Trommel auf peitschenden Funk-Pitch hoch – weiter geht’s. Gitarrist und Sample-Chef E.r.k pflegt seinen ganz eigenen, abenteuerlichen Stil, geprägt von Slide-Attacken und Wah-Wah-Pedal-Einsatz, nicht selten gleichzeitig, arbeitet auch mit Geigenbogen – dabei uneitel, mannschaftsdienlich. Olivier Caroles Bass mag manchen im Publikum ein wenig zu laut anmuten – ist so jedoch für das ganz besondere Dschungel-Feeling des positiv gefährlichen Quartetts unerlässlich – mit seinem 5-Saiter agiert er mal jazzig fließend, mal slappend – genießt auch einen begeistert gefeierten Solospot.
Hypnotischer Funk wechselt mit sphärischen Passagen: Den zweiten Song widmet sie allen Migranten; im französisch gesungenen „Homo Sapiens“ geht es Morgane „um sämtliche Menschen dieser Erde“: sie führt den Krieg „dans les rangs de derriere“ – in den hinteren Reihen, ihre tribal chants laden hypnotisierend zum Mitsingen ein, im Titelsong ihres Albums, dem unvergesslich rhythmisierenden „Woman Soldier“ sogar in Anlehnung der bekannten Tonfolge von „Lady In Black“.
Als Morgane Ji das so verzauberte wie ausgelassene Publikum für Aufmerksamkeit und Zuneigung lobt, gibt es kein Halten – weitere Zugaben gehen zwar nicht, aber die 80 mitgebrachten CDs sind in Minuten vergriffen. In Bogotá so zu Hause wie in Gütersloh, geht es im Oktober zum Rockpalast. Tag 2 – schon wieder Magie pur!
Uli Twelker für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz