WdkK'22 - Der Freitag:

Zum Abschluss der diesjährigen Festwoche war alles angerichtet: Neu-Ehrenmitglied Oscar hielt Wort und stellte einen weiteren perfekten Sommerabend zur Verfügung. Die Bierzeltgarnituren (die, wie der Name ja schon sagt, eigentlich in ein Bierzelt gehören und nicht auf ein Open-Air-Konzertspektakel) wurden von den fleißigen Helfern aus dem Publikum bereits in der Nacht zum Freitag ihrem winterlichen Bestimmungsort zugeführt. Und das Bühnenprogramm war so sicher für ein Grand Finale ausgewählt, dass niemand auch nur den leisesten Zweifel am Bevorstehen eines neuen Superlativ-Abends haben konnte:

 

Eine gute Funk-Band als geschmackliche Schnittmenge für alle geht freitags grundsätzlich immer. Dass FatCat aus Freiburg den Dicke-Bretter-Job als Opener eines ostwestfälischen Konzertabends so souverän annehmen würden, konnte man nur ahnen, wenn man die Band vorher schon mal gesehen hat. Es zeigt natürlich auch, von welchem Kaliber diese Formation, nicht nur musikalisch, ist. Und dann die Wahl der Jazzrausch Bigband als Closer – ganz safe Programmauswahl, zumal sie im vergangenen Jahr ja bereits angedeutet hatten, wie sie Gütersloh auch mit Corona-Handbremse in Extase versetzen können. Dies ist übrigens auch der offizielle Grund für die Back-to-back-Programmwiederholung, ein Privileg, welches sonst nur Hans-Hermanns Intimus Wolfgang Haffner zusteht (das stimmt so natürlich nicht, würde er jetzt mit seinem typisch verschmitzten Lächeln behaupten). Man hatte im vergangenen Jahr einfach den perfekten Abschluss-Act gefunden, und dann durften es aufgrund der Kapazitätsbestimmungen nur ein kleiner Teil der Gütersloher miterleben. Also jetzt dann nochmal richtig.

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Aber da waren dann ja zunächst FatCat, zu denen ich gestern schon schrieb, dass man ihnen quasi Unrecht tue, indem man im Vorfeld nur über Jazzrausch spricht (klar, die waren ja schonmal da, und FatCat kannten bisher die wenigsten hier). Was für eine großartige Band! Zum in solch einer Situation, wo die Menschen auf dem Festplatz noch in Fachgesprächen und Bierbestellungen vertieft sind, durchaus gewagten – und erfrischenden, weil gekonnten – A-Capella-Intro von Frontman Kenny Joyner, positioniert sich zunächst im Hintergrund eine schrille Truppe im dime-a-dozen Erscheinungsbild, wie es derzeit gefühlt jede akademische Funk-Band abgibt. (Fußnote: Ihr kennt diesen kollektiven Individualismus, der alle Diversität sofort ad absurdum führt? Man stelle sich etwa vor, Reinhard Beckord habe noch sechs weitere Freunde im selben Kleidungsstil – er würde gar nicht mehr so richtig wirken!). Doch bereits mit dem Einsetzen der Band wird binnen Sekunden klar, warum die Jungs schon alle großen Festivals von Montreux bis zum Weissenhäuser Strand bespielt hat: das ist allerfeinster Funk, Soul, R’n’B, clubtaugliches Zeug im Idiom zwischen Prince und Bruno Mars. Und dabei wirklich sehr geil gespielt. Man wird fast ganz nostalgisch und erinnert sich an den Auftritt von „Schwarzkaffee“ vor vielen Jahren auf dem Dreicksplatz (was ist eigentlich aus denen geworden? Hört man leider nix mehr von, bzw. ich). Die Band glänzt eher subtil durch geniale und präzise Akzentuierungen in den Grooves, und haut sparsam, aber dadurch extrem effektiv, auch mal virtuose Solo-Passagen raus, wie etwa ein bebop’esques Unisono-Zusammenspiel zwischen Altsax (Paul Hofer-Bottomley) und Gitarre (Paul Monninger). Auch die 80er-Sythi-Disco passt perfekt, in den Vortrag, weil stilsicher und wirkungsvoll eingesetzt, und man verzeiht Tastenmann Ferdinand Klamt sogar die George-Kochbek-Gedächtnis-Keytar. 

 

Zum Schluss wird es dann irgendwie rockig, so ein wenig Robbie-Williams-mäßig, und auch ein Hauch von Ska zieht ins Programm ein, was alles dann doch leider etwas beliebig macht und der Band ihrer eigentlichen Stärke etwas beraubt. Macht aber nix, zu dem Zeitpunkt ist das Publikum schon längst gewonnen, und es ist für die Atmosphäre auf dem Platz auch irgendwie sehr passend. Ich möchte sogar behaupten, dass man einen Auftakt in den Freitagabend kaum besser gestalten kann. Die Band hat, auch durch exzellente Kommunikation und Bühnenpräsenz, alle Besucher richtig abgeholt und in Feierlaune versetzt. So früh wurde selten so viel getanzt.

 

Nach einer halbstündigen Umbaupause und der Vorstellung der ehrenamtlichen Helfer stand dann der mit viel Spannung und Vorschusslorbeeren erwartete Auftritt des mittlerweile vielleicht honorabelsten Münchener Musikexports nach der Spider Murphy Gang auf dem Programm: der Jazzrausch Bigband. (Trotz des derzeit sehr House-lastigen Angangs ihres Albumprogramms „Emergenz“ – oder vielleicht sogar gerade deswegen – steht die Band unter der Ägide von Roman Sladek in absoluter Tradition der großen Jazz- und Tanzorchester von Fletcher Henderson über Harry James oder Glen Gray. Sie sind nämlich, genau wie die historischen Vorbilder, Resident Big Band eines Clubs, in diesem Fall des Münchener „Harry Klein“, in dem die Menschen zu „aktueller“ Musik tanzen gehen.

 

Das klingt jetzt zunächst wenig Aufsehen erregend, aber es ist das mir einzig bekannte Beispiel einer kommerziellen „Resident Big Band“, die nicht bloß historische Musik konserviert, sondern neue Musik erfindet, zu der die Generationen X bis Z (verzeiht mir diese bescheuerten Begrifflichkeiten) feiern gehen. So wie zu der Zeit als der Jazz etwas Neues, revolutionäres war. Und so – also kulturhistorisch – muss man es auch sehen, wenn man sich nicht verbiegen möchte, das Wörtchen „Jazz“ im „Jazzrausch“ zu erklären. In rein musikalischer Hinsicht entsteht der „Jazz“ tatsächlich über den „Rausch“: die Gesetze der elektronischen Musik, die ihre emotionale Kraft über die langsam entstehende Trance mit kurzen ekstatischen Ausbrüchen entwickelt, die Kraft des Repetitiven. Das ist als Stilmittel durchaus so gewollt, und von den exzellenten Musikern des Kollektivs gekonnt exerziert. 

 

Wenn dann die Stimmen der Altrocker am Rande des Platzes irgendetwas monotones oder musikfernes bemängeln, hilft übrigens im Gespräch meist der Verweis auf die großen amerikanischen Jam Bands wie Widespread Panic (oder früher The Grateful Dead), wo ein Stück auch mal vier Stunden dauern kann, weil es seine Magie eben über den tranceartigen Rausch entfaltet. Das kann dann, wie mir gestern widerfahren, mit ein wenig Selbstironie auch mal ganz amüsant sein, als ich kurz innerlich wegnickte und im Glauben wieder aufwachte, es laufe gerade „Beverly Hills Cop“, aber dann feststellte, dass ich außer der Klangfarbe gar nichts wiedererkenne. Umso erlösender sind für den eher traditionellen Musikhörer dann natürlich die rhythmisch aufgebrochenen Vokalpassagen der Hugo-Ball-Vertonung „Der Literat“, oder die ausschweifenden Bariton- und Sopransax-Soli, die die individuelle Virtuosität der Musiker im Rahmen der programmatischen Funktion andeuten.

 

Aber hierum geht es am Ende alles gar nicht, denn wir sind gestern Zeuge einer ganz spannenden Potenzial-Entwicklung für die „Woche der kleinen Künste“ geworden. Nachdem man mit „Meute“, dem weltweit vielleicht erfolgreichsten Spielmannszug, vor der Coronapause erstmals ernsthaft ein jüngeres, generationen-durchmischteres Publikum in signifikanter Anzahl auf den Platz locken konnte, fand das Programmteam in der Jazzrausch Bigband eine Band mit ebendiesem gesellschaftlichen Potenzial, jedoch viel höherem, und damit dem restlichen Programm eher gerecht werdenden, musikalischem Anspruch. Also quasi, vereinfacht ausgedrückt, Meute mit Tiefgang und Facettenreichtum. Wenn wir die „Woche der kleinen Künste“ als ein echtes Mehr-Generationen-Erlebnis etablieren wollen, sind solche Acts elementar für den Erfolg. Selbstverständlich sind Acts wie „Jazzrausch“ natürlich so prominent, weil sie so selten existieren, aber ich wünsche dem Programmteam jetzt schon viel Vergnügen, die eigens so brutal hoch gelegte Messlatte im kommenden Jahr wieder zu übertreffen (bevor jetzt jemand den Witz bringen möchte: es hat tatsächlich schon mal eine Kooperation von Jazzrausch und Wolfgang Haffner gegeben). Es war auf jeden Fall ein Abend, der Anregung genug für Diskussionen über die zukünftige Programmausrichtung gestiftet hat. Das wird Freude bereiten. So wie überhaupt die gesamt diesjährige „Woche“. Ich hatte das Gefühl, für uns alle, die auf dem Platz waren, wirkte die ganze Woche wie eine Art Befreiung von den Lasten und Widrigkeiten im gesellschaftlichen Leben der letzten zweieinhalb Jahre. Seien wir dankbar, diese Woche miterlebt zu haben! Wer weiß wie lange wir bald noch von solchen Erlebnissen wieder werden zehren müssen…

Max Oestersötebier für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz